Die dramaturgische Schere
Apropos Laptop, wie seid ihr den Schnitt und die Postproduktion angegangen? Es gab bestimmt viel Material, dazu die parallelen Erzählstränge und den langen zeitlichen Rahmen...
Wir haben 450 Stunden Material – was aber auch an den Wasser- und Surfaufnahmen liegt, die alle in 100-200 fps gedreht wurden.
Über die Jahre wurde kontinuierlich geschnitten, Szenen angelegt, Interviews transkribiert, erste Selects erstellt. Wir haben lange nach einem Editor oder einer Editorin gesucht, der oder die das Material nativ schneiden könnte – in Französisch, Spanisch, Englisch und Deutsch. Da sich die letzten Drehs wegen Covid aber immer wieder verschoben haben, konnten wir nie einen klaren Postproduktionszeitraum nennen.
Letztendlich haben wir den Film selber geschnitten. Wir haben für jedes Land einen 2h Rohschnitt erstellt, danach wurden die Erzählstränge ineinander verwoben. Dieser Rohschnitt war dann die Grundlage, um mit einer externen Dramaturgin an der inhaltlichen Struktur zu arbeiten. Mir ist irgendwann klar geworden, dass wir nicht nur einen, sondern eigentlich vier Filme gedreht haben - Surf on, Europe! hatte bis in den Rohschnitt noch einen vierten deutschen Handlungsstrang, der komplett recherchiert, gedreht und geschnitten wurde. Die komplette Story fiel dann schweren Herzens der dramaturgischen Schere zum Opfer.

Nachdem ihr ja mit verschiedenen Kameras gedreht habt (außerdem an Land, unter Wasser, aus der Luft), wie anspruchsvoll war das Grading und wie seid ihr da vorgegangen?
Da wir eine Kinotour angestrebt haben, wurde der Film bei WeFadeToGrey auf Leinwand gegraded – ein absoluter Traum. Swen Linde von WeFadeToGrey ist selbst begeisterter Surfer und hat uns sehr unterstützt. Bei den vielen Kameras, Locations und Codecs haben die Jungs auf ihre jahrelange Erfahrung zurückgegriffen und vermutlich trotzdem das ein oder andere Mal geflucht.
Konzeptuell hat jedes Land eine eigene Farbstimmung.
Wie hat es sich denn ergeben, dass Euer Film sogar im Kino gezeigt wurde?
Mit der Surffilmnacht hatten wir einen super Partner für die Distribution im Kino - Eventkino funktioniert, und die Surfcommunity hat den Film sehr gut aufgenommen. Darüber hinaus gab es einzelne reguläre Vorstellungen in Programmkinos, vor der Europawahl Events über das Europäische Parlament und weitere Sonderveranstaltungen. Die französische Tour ist gerade vorbei, und wir planen weitere Screenings im Kino auf politischen Kinoveranstaltungen mit begleitender Diskussion oder im Bildungskontext. Momentan wird pädagogisches Begleitmaterial erstellt, um den Film als Diskussionsgrundlage in Schulen verwenden zu können.
Aktuell ist der Film in der WDR Mediathek zu sehen - freut uns sehr, dass es so ein besonderer Film wie eurer ins TV schafft!
Das freut uns auch :-)
Es gibt da ja teils strenge Auflagen, mit welchen Kameras gedreht werden muss und in welchen Formaten. Wie war das bei euch?
Im Film gibt es sogar eine Handyaufnahme, die aber inhaltlich so wichtig für das Storytelling ist, dass die Bildqualität in dem Fall irrelevant ist. Da die gesamte Postproduktion bei uns lag, musste nur die finale Datei durch die technische Abnahme kommen, da kommt es mehr auf die richtigen Levels an, als auf die Kameras.
Wie geht es weiter bei euch, welches sind eure nächsten Projekte?
Wir veröffentlichen im Oktober eine Webserie mit Tim Elter, der bei Olympia für Deutschland im Surfen angetreten ist, und arbeiten an einer semi-fiktionalen Docu-Drama-Serie über Private Banking. Nach 6 Jahren mit Surf on, Europe! freuen wir uns gerade auch, schnelllebigere Produktionen umzusetzen und sind offen für Kollaborationen. Wir haben immer auch Documercials und Werbung produziert und lieben es, pure Bildästhetik mit relevantem Storytelling zu verweben, um Formatgrenzen zu dehnen.
Abschließend noch ein ganz anderes Thema: Wie steht ihr zu den aufkommenden KI-Tools, mit denen man beispielsweise seine Bilder nachträglich ein bißchen aufräumen kann, etwa störende Details entfernen, oder vielleicht ein paar Frames künstlich dranrechnen, damit ein Schnitt weniger abrupt ausfällt. Was meint ihr, wäre sowas OK bei Dokumentationen?
Haha, gute Frage. Wir haben am Ende der Postproduktion z.B. viel mit StorytoolkitAI gearbeitet. 15h Interviews in 4 Sprachen transkribieren und dann semantisch durchsuchen zu können, ist ein Traum. So konnten wir hier und da noch das ein oder andere Statement finden, das bei der ersten Auswahl nicht beachtet wurde.
Im Film gibt es außerdem Radiobeiträge als Stilmittel, die wir geschrieben haben. Einerseits um pointiert Kontext zu geben, andererseits weil wir damit Lizenzkosten von z.B. BBC-Beiträgen umgehen. Dabei orientieren sich die Beiträge eng an echten Zeitungsartikeln.
Um den Effekt im Schnitt auszutesten, haben wir im Roughcut mit KI-Stimmen gearbeitet und erste Layouts erstellt. Für den finalen Schnitt haben wir dann alles nochmal “richtig” einsprechen lassen. Als Endresultat stehen anstatt der Stimm-KI jetzt Sprecher bei den Radiobeiträgen; im Film würde man den Unterschied vermutlich nicht merken.
Im Rohschnitt gab es auch eine Szene, in der sich ein Protagonist versprochen hatte und zwei Wörter vertauscht waren. Das könnte man durch geschicktes Editing lösen oder indem man das fehlende Wort mit einer Stimm-KI generiert. Wir haben uns für “traditionelles” Editing entschieden, das Resultat wäre auch hier dasselbe.
Ich denke, am Ende geht es um die Intention und die Integrität als Filmemacher:
Was will ich zeigen, und verhalte ich mich mit dem Gezeigten, dem Publikum und den Protagonist:innen gegenüber integer?
Bei der Bildkorrektur: Entferne ich nur eine störende Stromleitung im Hintergrund oder z.B. ein Wahlplakat, das Kontext geben würde? Kaschiere ich ein gelbes Auto im Hintergrund im Grading, um die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, oder entferne ich es komplett via KI? Man sollte hier von Fall zu Fall entscheiden. Wir zeigen ja nie die “objektive” Realität: Wir framen, schneiden, emotionalisieren und mischen uns die Realität so, dass sie unsere Geschichte erzählt. Das passiert, sobald man eine Kamera in die Hand nimmt, ob man will oder nicht.
Bei Text ist das “Problem” dasselbe: Wenn ihr unser Interview nicht 1:1 veröffentlicht, sondern noch hier und da kürzt oder umformuliert, damit es dem Stil eurer Publikation entspricht, ist das Wichtigste nicht, ob hier und da ein Wort dazugeschrieben wird, sondern ob ihr mir das Wort im Mund verdreht oder nicht. Integrität und Transparenz sind hier wichtig. Wer bösartig etwas faken will, kann das schon lange, auch ohne KI.

SURF ON, EUROPE!
In der WDR-Mediathek
(noch bis zum 5.8.2025)
A VEYVEY FILMS production
in co-production with WDR
Directed, produced and edited by Constantin Gross and Lukas Steinbrecher
Director of photography Noah von Thun
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